Solidarität mit Frauen* auf Flucht

Über die Hälfte der weltweit rund 64 Millionen Menschen auf der Flucht sind Mädchen* und Frauen*.

Über die Hälfte der weltweit rund 64 Mil­lio­nen Men­schen auf der Flucht sind Mäd­chen* und Frauen*. Trotz­dem dominiert die Vorstel­lung des ver­fol­gten cis-het­ero Mannes im öffentlichen Diskurs. Geflüchtete Frauen* treten – wenn über­haupt – als beim­itlei­denswerte Neben­fig­uren auf. Geschlechtsspez­i­fis­che Ver­fol­gung ist nur sel­ten öffentlich­es The­ma und wird oft­mals bagatel­lisiert. Die Bedürfnisse von Frauen* und LGBTTIQ* wer­den in Hil­f­sange­boten überse­hen und gen­der­spez­i­fis­chen Flucht­gründe in Asylver­fahren nur sel­ten anerkannt.

Krieg, Anschläge, poli­tis­che und religiöse Ver­fol­gung, Armut, Per­spek­tivlosigkeit und Umweltkatas­tro­phen zwin­gen Men­schen gen­derun­ab­hängig zur Flucht. Frauen* sind darüber hin­aus aber mit geschlechts- und gen­der­spez­i­fis­ch­er Diskri­m­inierung und Gewalt kon­fron­tiert, die sie zur Flucht zwingen.

Frauen* flücht­en vor sex­u­al­isiert­er Gewalt als Teil sys­tem­a­tis­ch­er Kriegsstrate­gie. Sie flücht­en, weil sie von Men­schen­recht­en und gesellschaftlichen Ressourcen aus­geschlossen wer­den. Und Frauen flücht­en sehr häu­fig vor Zwang­sheirat, Fem­izid, Gen­i­talver­stüm­melung und häus­lich­er Gewalt. Manch­mal kann die Tat­sache, eine Frau* zu sein, schon einen Flucht­grund darstellen.

Von den Mil­lio­nen Men­schen auf der Flucht erre­ichen aber nur wenige Deutsch­land. Die meis­ten Geflüchteten auf der Welt leben als Bin­nen­ver­triebene in ihrem Herkun­ft­s­land oder in den Nach­bar­re­gio­nen. Nur knapp drei Prozent aller Flüch­t­en­den kom­men über­haupt in die EU. Und der Anteil der Frauen unter den Schutz­suchen­den in der EU ist geringer als der durch­schnit­tliche Frauenan­teil der Flüch­t­en­den. In Schleswig-Hol­stein liegt der Anteil der Frauen* und Mäd­chen* derzeit bei 42 %.

Müt­ter sind auf­grund von Kinderver­sorgung oft­mals weniger mobil. Flucht ist teuer und Frauen* haben oft weniger Zugang zu Geld. Und Flucht ist nicht zulet­zt lebens­ge­fährlich. Män­ner gel­ten wegen der ihnen zugeschriebe­nen Kör­perkraft als über­lebens­fähiger und gehen oft­mals vor, um die Fam­i­lien später nachzuholen.

Der Traum der schnellen Fam­i­lien­zusam­men­führung scheit­ert jedoch für die meis­ten. Und inzwis­chen sind immer mehr alle­in­ste­hende Frauen auf der Flucht. Sie wer­den aus ihrer Heimat ver­trieben und müssen sich oft mit ihren min­der­jähri­gen Kindern und älteren Ver­wandten durch­schla­gen. Sie sind der Willkür von Schleusern, Beamten und andere Flüch­t­en­den aus­ge­set­zt. Verge­wal­ti­gung, Ver­schlep­pung und Zwang­spros­ti­tu­tion gehören für viele geflüchtete Frauen* zum All­t­ag in über­füll­ten Lagern unter prekären Lebens­be­din­gun­gen in den soge­nan­nten Nahgebieten.

Die weni­gen Frauen* und Mäd­chen*, die die EU tat­säch­lich erre­ichen, wer­den auch hier mit Diskri­m­inierung und Gewalt kon­fron­tiert. Die Auf­nah­me­lager bieten keine Pri­vat­sphäre, die Zim­mer sind oft nicht abschließbar und die san­itären Anla­gen nicht geschützt. Die Gewaltschutzkonzepte – wenn es sie denn über­haupt gibt – sind oft unzure­ichend. Es fehlt an gen­der­sen­si­blen Beratungsange­boten, es find­et kein sys­tem­a­tis­ches Screen­ing nach Schützbedürftigkeit statt und meis­tens haben Frauen* auch nicht die Möglichkeit, getren­nt und geschützt unterge­bracht zu werden.

Sex­u­al­isierte Gewalt und sex­is­tis­che Diskri­m­inierung sind für geflüchtete Frauen* auch in Deutsch­land an der Tage­sor­d­nung. Und aus Schutzange­boten durch andere Geflüchtete, Hil­f­skräfte und Per­son­al entste­hen oft­mals Abhängigkeit­en und neue Gewalt­si­t­u­a­tio­nen. Schätzun­gen zufolge hat ein Vier­tel der geflüchteten Frauen sex­u­al­isierte Gewalt erlebt und min­destens die Hälfte son­stige kör­per­liche Gewalt – und zwar vor der Flucht, auf der Flucht und nach der Flucht.

Die näch­ste Hürde stellt das Asylver­fahren sel­ber dar. Seit 2005 kann geschlechtsspez­i­fis­che Ver­fol­gung wie sex­is­tis­che Diskri­m­inierung und sex­u­al­isierte Gewalt in Deutsch­land zwar zu einem Schutzanspruch führen, in der Prax­is kommt dieses Recht aber kaum zum Tra­gen. Bish­er wer­den weniger als ein Prozent der geflüchteten Men­schen auf­grund ihres Geschlechts geschützt. Denn die tat­säch­liche Alsyl­recht­sprax­is klebt noch an der Vorstel­lung des »klas­sis­chen Flüchtlings«.

Die Gen­fer Flüchtlingskon­ven­tion stammt aus dem Jahre 1951. In der klas­sis­chen Vorstel­lung wird ein Flüchtling vom Staat ver­fol­gt. Das tra­di­tionelle Asyl­recht konzen­tri­ert sich damit auf öffentliche – sprich männliche – Akteure. Wie passend, dass »Flüchtling« schon sprach­lich ein rein männlich­er Begriff ist. Men­schen­rechtsver­let­zun­gen im Pri­vat­en wer­den in der Prax­is nur sel­ten als Flucht­grund anerkan­nt. Selb­st sex­is­tis­che Diskri­m­inierung und sex­u­al­isierte Gewalt in der öffentlichen Sphäre wer­den noch viel zu oft als »pri­vate« Über­griffe verstanden.

Viele geflüchtete Frauen* wis­sen selb­st gar nicht, welche Gründe zu einem eigen­ständi­gen Schutzs­ta­tus in Deutsch­land führen kön­nen. Sie wer­den vor der Befra­gung zu schlecht aufgek­lärt, es fehlt an entsprechend aus­ge­bilde­tem Beratungsper­son­al und auch in den Inter­views beim Bun­de­samt für Migra­tion und Flüchtlinge fehlt die Sen­si­bil­ität. Frauen* brauchen qual­i­fizierte und ver­trauenswürdi­ge Dol­metscherin­nen und auch die Möglichkeit, ihre Anhörung­spro­tokolle vor ihren Ehemän­nern geheim zu halten.

Und selb­st wenn geschlechtsspez­i­fis­che Ver­fol­gung dargelegt wird, erwächst daraus nur sel­ten ein echter Flüchtlingssta­tus, son­dern lediglich ein sub­sidiär­er Schutz oder ein Abschiebe­ver­bot. Allein geflüchtete Müt­ter bekom­men daher nur sel­ten einen Schutzs­ta­tus, der ihnen eine Fam­i­lien­zusam­men­führung mit ihren Kindern ermöglicht.

Wenn Frauen* zusam­men mit ihren Ehemän­nern geflüchtet sind, wer­den ihre Flucht­gründe ohne­hin regelmäßig ignori­ert: Denn wenn ein Eltern­teil der Kern­fam­i­lie anerkan­nt wird, wird der Rest der Fam­i­lie im Rah­men des Fam­i­lien­asyls mit­geschützt. Und auf­grund des vorherrschen­den Bildes des klas­sis­chen männlichen Flüchtlings, ist es typ­is­cher­weise der Schutzs­ta­tus des Ehe­mann, von dem die ganze Fam­i­lie abhängig wird. Damit zemen­tiert unser Asylver­fahren die Vorstel­lung des männlichen Haushaltsvor­standes. Die wird dann auch nach Anerken­nung im Leis­tungs­bescheid des Job­cen­ters unter­mauert, wo der Ehe­mann stan­dard­mäßig als Leis­tungsempfänger und die Ehe­frau nur als Teil der Bedarf­s­ge­mein­schaft geführt wird.

Und auch das Leben in Deutsch­land ist für geflüchtete Frauen* oft­mals mit mehr Hür­den und Schwierigkeit­en ver­bun­den als für Män­ner mit Fluchter­fahrun­gen. Die Bedürfnisse von Frauen wer­den in dem ver­stell­ten Blick der Helfend­en oft­mals völ­lig überse­hen. Es fehlt an Kinder­be­treu­ungsange­boten in Sprachkursen und Beratungsange­boten und dauer­haft män­ner­freie Begeg­nung­sorte sind eine Sel­tenheit. Fraue­nange­bote stellen oft­mals die kleine Aus­nahme dar in der Fülle von Räu­men, in denen geflüchtete Män­ner dominieren.

Geflüchtete Frauen erleben daher fast immer eine Mehrfachvik­timisierung: Sie erfahren auf der Flucht Gewalt, erleben im Asylver­fahren Diskri­m­inierung, wer­den in den Hil­f­sange­boten über­gan­gen und im öffentlichen Diskurs degradiert. Und wenn es um die Entschei­dung über Strate­gien für die Besei­t­i­gung von Flucht­grün­den und für Kon­flik­tlö­sun­gen geht, fehlen betrof­fene Frauen* sowieso an den Verhandlungstischen.

Von gen­der­spez­i­fis­ch­er Diskri­m­inierung und Gewalt sind selb­stver­ständlich auch LGBTTIQ*-Personen betrof­fen. Auch hier klafft The­o­rie und Prax­is weit auseinan­der. Denn obwohl die LGBTTIQ*-spezifische Flucht­gründe the­o­retisch anerkan­nt sind, führt die Prax­is oft­mals zu weit­er­er Gewalt, Diskri­m­inierung und Degradierung.

Der Flüchtlingsrat Schleswig-Hol­stein hat anlässlich des heuti­gen inter­na­tionalen fem­i­nis­tis­chen Kampf­tags eine Rei­he von konkreten poli­tis­chen Forderun­gen for­muliert, die ich vol­lum­fänglich unter­stütze! Denn die Forderung nach sicheren Zugangswe­gen, indi­vidu­ellen Asylver­fahren, stärk­er­er Berück­sich­ti­gung geschlechtsspez­i­fis­ch­er Ver­fol­gung, beschle­u­nigten Fam­i­lien­zusam­men­führun­gen und besseren Bedin­gun­gen in Deutsch­land ist aus fem­i­nis­tis­ch­er Sicht selbstverständlich!