»Heut bin ich über Vollerwiek gefahren…«

Der Respekt vor dem Meer.

Ein Face­book­fre­und hat mir kür­zlich den Link zu ein­er inter­ak­tiv­en Seite geschickt, die sehr anschaulich darstellt, welche Auswirkun­gen eine Erhöhung des Meer­esspiegels haben wird. Ein Anstieg von mehr als einem Meter bis zum Jahr 2100 ist lei­der nicht auszuschließen. Und mein Kind­heit­sort wird schon bei ein­er Erhöhung von einem Meter in den Fluten versinken. So wie in Lilien­crons Gedicht über Rungholt.

Rung­holt soll ganz in der Nähe meines Kind­heit­sorts gele­gen haben. Der Sage nach war es das Atlantis der Nord­see. Die Men­schen waren reich und fühlten sich so mächtig, dass sie die Gefahr nicht kom­men sahen, son­dern das Meer höh­n­ten. Auch die meis­ten anderen Sagen mein­er Kind­heit waren düster und han­del­ten von der Gefahr des Meeres. Im Herb­st hörte ich die Hufe des Schim­mel­re­it­ers im Wind. Ach, hätte er doch den Deich umfassend in Stand geset­zt, statt sich beschwichti­gen zu lassen. Wenn ich abends am Deich lang­ging, hat­te ich Angst vor dem Gonger an unserem Deich. Der Sage nach war er ein Stran­dräu­ber gewe­sen, der aus Gier nach Reich­tum ertrunk­en war. Nachts kroch er aus dem Meer, um sich der Deichkro­ne jedes Jahr ein Hah­nen­tritt zu näh­ern. Der Deich würde brechen, sobald er ihn erre­ichte. Und wenn er mich unter­wegs pack­te, würde er mich mit ins Meer hinab ziehen.

Ich weiß nicht, ob es an diesen Geschicht­en liegt, dass ich großen Respekt vor dem Meer habe. Vielle­icht sind es auch die Momente gewe­sen, wo ich bei Sturm­flut am Deich ges­tanden und zugeschaut habe, wie die hohen Wellen fast an die Deich­spitze gekom­men sind. Geliehenes Land… 

Es gibt Mod­elle für natür­lichen Küsten­schutz, die drin­gend umzuset­zen sind. Diese befreien uns aber nicht davon, endlich radikal umzus­teuern und die Kli­makatas­tro­phe zu verhindern.

Kür­zlich erzählte mir ein Fre­und, ihm sei Kli­maschutz egal. Er habe keine Lust, irgen­det­was an seinem Lebensstil zu ändern. Er wolle lieber ein »Weit­er so« und werde die entsprechende Partei wählen.

»Ein einziger Schrei – die Stadt ist ver­sunken, und Hun­dert­tausende sind ertrunk­en. Wo gestern noch Lärm und lustiger Tisch, schwamm andern Tags der stumme Fisch. Heut bin ich über Rung­holt gefahren, die Stadt ging unter vor sechs­hun­dert Jahren. Trutz, Blanke Hans!«