Die Vorstellung von »importiertem Antisemitismus« ist bizarr und an Zynismus kaum zu übertreffen. Und sie folgt einem gängigen Muster in den sogenannten Integrationsdebatten: Wenn ein Mensch nach Deutschland zieht und hier beruflichen Erfolg hat oder sonst positiv auffällt, wird es selbst dann als Integrationserfolg gefeiert, wenn die dafür benötigten Fähigkeiten oder Eigenschaften mitgebracht sind. Wenn eine Person in Deutschland negativ auffällt, gilt es aber selbst dann als Integrationsproblem, wenn sie sich die negativen Verhaltensweisen erst in Deutschland angeeignet hat. Sprich: Alles Gute ist der Aneignung deutscher Werte zu verdanken, alles Schlechte mitgebracht. So gelingt es Rechten selbst Femizide als importiertes Problem darzustellen, um davon abzulenken, dass geschlechtsspezifische Gewalt auch in Deutschland strukturell verankert ist.
Es macht mich wütend, wenn ausgerechnet antifeministische Kräfte, sexistische Gewalt orientalisieren. Und ich ertrage es nicht, dass gerade rechtspopulistische Kräfte sich als Schutzwall gegen Antisemitismus darstellen, um damit antimuslimischen Ressentiments zu schüren. Es ängstigt mich, wenn diese Erzählungen sich selbst in linken Kreisen durchsetzen. Phänomene wie Sexismus, Antisemitismus und Rassismus sind strukturelle Probleme, die uns alle angehen. Wir können sie nur gemeinsam lösen. Die Vorstellung, dass es sich dabei um etwas »Fremdes« handelt, das von außen über »Fremde« zu uns kommt, die nur aus unserer Gesellschaft entfernt werden müssen, ist erstens falsch und zweitens brandgefährlich.
Ich bin davon überzeugt, dass wir Konflikte dort lösen müssen, wo sie entstehen. Antisemitische Parolen sind unser aller Problem – egal ob sie auf dem Demos für Palästina oder gegen Coronamaßnahmen fallen. Wir müssen gemeinsam darüber sprechen, wie wir in Sicherheit zusammenleben können. Die Voraussetzung dafür ist, dass wir einander als gleichberechtigte Menschen wahrnehmen, die gemeinsam Verantwortung dafür tragenl. Das wird aber nicht gelingen, solange wir die absurde Vorstellung davon aufrechterhalten, dass einige von uns Gäste sind, die nur unter bestimmten Bedingungen willkommen sind.