»In Afrika hungern die Kinder!« Glücklicherweise bin ich als Kind nicht mit diesem Spruch dazu aufgefordert worden, meinen Teller leer zu essen. Dennoch war der Satz allgegenwärtig und klang wie ein Naturgesetz. So stand es in Kinderbüchern und Kinderliedern, so war es im Fernsehen zu sehen. Mir erschien es wie eine traurige, aber unveränderbare Weltordnung. Erst allmählich wurden mir unsere alles andere als gottgegebene kolonialen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse bewusst, aus denen sich auch dieser Satz speist.
Besonders deutlich werden sie in einer Asylpraxis, die Geflüchtete aus Nachfolgestaaten ehemaliger Kolonien pauschal als Wirtschaftsflüchtlinge einstuft. Obwohl in sehr vielen afrikanischen Staaten massive Gewalt und schwere Menschenrechtsverletzungen nachgewiesen sind, führt nur ein Bruchteil der Asylgesuche von Menschen aus Afrika in Deutschland zu einer Anerkennung. Und mich beschleicht schon lange das Gefühl, dass die Abschottungsmethoden grausamer und das Desinteresse daran größer geworden ist, seitdem in erster Linie Flüchtende aus Afrika betroffen sind.
Wer Menschen im Mittelmeer verrecken lässt, ist mitverantwortlich dafür, wenn die Bevölkerung diese Haltung auch im Alltag auslebt. Für das Jahr 2020 sind bislang 1606 als rechtsextrem eingestufte Angriffe auf Geflüchtete außerhalb ihrer Unterkünfte vermeldet worden. Die Zahl der als politisch motiviert bewerteten Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte liegt für 2020 bei 84. Rechtes Gedankengut ist dabei kein Nischenphänomen, sondern strukturell verankert. Nationalismus und koloniales Denken stellen die Grundlage eines globalen Ausbeutungssystems dar.
Ich möchte weder erdulden, dass Menschen an unterlassender Hilfeleistung an unseren Grenzen sterben, noch dass Menschen in unserem Land angegriffen, gejagt, gehetzt und tödlich verletzt werden. Und ich ertrage die Vorstellung nicht, dass Pharmakonzerne Impfstoffe mit Patenten belegen, die sie für viele Staaten im globalen Süden unbezahlbar machen. Wir brauchen nicht nur Erinnerungs- und vergangenheitsbezogene Aufarbeitungskonzepte für Kolonialismus, sondern auch gegenwarts- und zukunftsbezogene Maßnahmen.