Allein in den letzten zehn Tagen gab es in Irakisch-Kurdistan elf Suizide junger Jesid*innen aus dem Shingal. Es erschüttert, aber überrascht mich leider nicht.
Im Oktober 2018 war ich vor Ort und konnte mit eigenen Augen die Zeltlager sehen – so weit wie das Auge reichte. Schon damals war das Leben dort schwierig, unter Pandemiebedingungen muss es unerträglich sein.
Wir haben damals überlebenden Frauen getroffen und mit einem jesidischen Sozialabeiter in den Zeltlagern im Dohuk gesprochen, der uns sehr eindrücklich beschrieben har, warum die meisten Jesid*innen in den Zeltlagern ausharren, statt in ihre alten Dörfer zurückzugehen: »Der IS mag besiegt sein, aber in den Köpfen lebt er noch. Wer will schon zurückgehen an einen Ort, wo die Nachbarschaft zugeschaut hat, während die Eltern ermordet, die Schwester vergewaltigt und man selbst vertrieben worden ist.«
Vor dem Hintergrund der deutschen Vergangenheit sollte diese Argumentation zugänglich sein. Dennoch werden auch aus Deutschland regelmäßig Jesid*innen abgeschoben mit dem Verweis darauf, dass doch jetzt Frieden herrsche.
Eine junge Jesid*innen erzählte mir, die älteren wünschten sich eine Rückkehr der Jesid*innen in den Shingal, weil sie sich Sorgen um das Überleben der Kultur machten. Ihr sei ihr eigenes Überleben aber erstmal wichtiger.
Die Region um Dohuk ist mit der Versorgung und Betreuung von Hunderttausenden, darunter auch schwer traumatisierte Binnengeflüchteten, völlig überfordert. Es ist beschämend, dass Europa in diese Region abschiebt.
Wir können den Genozid nicht ungeschehen machen, aber wir können uns anständig dazu verhalten! Weniger anzeigen